Ausstellung „drinnen & draußen“ 2015 von Barbara Klein
Stellen Sie sich vor, wie sich im November 2012 eine Gruppe aus Freunden und ehemaligen Arbeitskollegen aus der Schweiz und aus dem Schwäbischen auf den Weg nach Bamberg macht, weil zwei von Ihnen mit Eintritt ins Rentenalter beschlossen haben, diese Stadt zu ihrer neuen Heimat zu machen. Und sie landen alle im Dom – wie überraschend – genauer gesagt bei einer Domführung. Und nachdem es sicher mehr als eine Stunde um die Geschichte und die Entwicklung dieses Ortes gegangen ist, kommt am Ende das Gespräch auf den Grund, warum sich die Gruppe ausgerechnet hier getroffen hat.
Der Mensch ist in der Regel ein Gewohnheitstier, der Veränderungen meidet, weil Routine immer ein Gefühl der Sicherheit gibt und das Unterbewusstsein sozusagen der große Energiesparmodus unseres Lebens ist. Ich war damals die Domführerin und dachte bei mir nach der Führung, wie mutig und neugierig müssen diese beiden sein, dass sie in ihrem Alter im wahrsten Sinne des Wortes die alten Wege verlassen und nur noch neue gehen wollen.
Dass die künstlerische Entwicklung von Barbara Klein Ende der 1960er Jahre mit einer Lehre als Gebrauchsgrafikerin begonnen hat, kann man auch heute noch sehen. Am Anfang des Werkprozesses stehen als Techniken zumeist der Druck und die Radierung. Die Leinwand wird oft nicht als freie Fläche aufgefasst, sondern wie in der Typographie als fester Satzspiegel mit unsichtbaren Hilfslinien in starre Spalten und Zeilen unterteilt. Und wo sich in der Typographie nun in beweglichen Lettern die präzise konstruierten Buchstaben einer Schrifttype über den Satzspiegel ausbreiten würden, um Worte und Sätze zu bilden, da sehen wir bei Barbara fast buchstabengleich Reihungen stereotyper Silhouetten, die in der Zusammenschau menschliche Gruppen formen. Die Silhouetten entstehen mit Hilfe von Schablonen oder Druckstöcken, also als Negativ oder Positiv, die Vorlagen werden von Hand oder mit der Maschine ausgeschnitten, sind aus Plexiglas oder Blech. Da Barbaras menschliche Silhouetten häufig isoliert stehen, Überschneidungen oder auch anderen Formen der Interaktion zwischen ihnen fehlen, bleiben sie ohne jede Tiefenräumlichkeit ganz im Bildvordergrund verhaftet. Auch in diesem Punkt fühlt man sich an Druckschrift erinnert.
Bei der Gebrauchsgrafik blieb es in nächsten 40 Jahren nicht, auch nicht bei den buchstabengleichen menschlichen Silhouetten. Der freie Wille, die Freude am Schöpfen und die Bereitschaft zum Experimentieren setzen bei Barbara einen Prozess in Gang, in dessen Verlauf sie ihre stereotypen Reihungen immer wieder bearbeitet, manchmal geradezu malträtiert. Farbschichten werden aufgetragen und danach wieder weggekratzt oder weggeätzt. Mit Fruchtsäuren wird experimentiert, Formen zerschnitten und neu wieder zusammengesetzt, alles in Leimbäder versenkt oder mit Schichten aus Japanpapier auf's immer Neue bedeckt. Manches schlummert Jahre halbfertig in der Schublade, um dann daraus hervorgeholt und weiterbearbeitet zu werden. Mal entsteht so zufällig aus einem X-Chromosom ein Y-Chromosom, und aus diesem 'Quasi-Gendefekt' die Grundform vieler ihrer späteren Skulpturen. Mal entsteht aus einer chemischen Reaktion heraus ein unerwartet leuchtendes Gelb, mal ein Grün, ein Rot und mal aus einer ursprünglich glatten Oberfläche über die Zeit eine Struktur, die an einen verlassenen Schmetterlingskokon erinnert.
Und immer sitzt Barbara staunend davor, voller Neugierde und Freude. Gerade ihre Arbeiten mit organischen Materialien, wie aufgeschnittenen Quitten, Weinreben, Blumen usw. basieren auf dem Prinzip des Experiments, da sich erst nach Abschluss des eigentlichen künstlerischen Schöpfungsaktes ein evolutionäres Eigenleben zu entwickeln beginnt. Chemische Prozesse sind nicht mehr aufzuhalten. Einflussnahme und Kontrolle durch die Künstlerin sind ab dann ausgeschlossen. Was bleibt, ist das Beobachten. Alles kann gewonnen, manchmal auch alles verloren sein. Dann ist das Bild am Ende eben verdorben. Diese Freiheit, den Dingen ihren Lauf zu lassen, erfordert Mut.
Auch Barbaras menschliche Silhouetten müssen heute einiges an Bearbeitung aushalten, bis sie fertig sind. Oft werden dadurch ihre Umrisslinien beschädigt und die starre Trennung zwischen außen und innen aufgehoben. Oder in der Binnenfläche wurde so viel Material weggenommen, dass der Untergrund durchscheint und sich auch auf diese Weise die Trennung von Figur und Umwelt auflöst. Manche Silhouetten verschwinden nahezu unter Farb- und Papierschichten, andere wieder lösen sich heute deutlich vom Bildvordergrund ab, weil sie durch Schichtauftrag reliefartig hervortreten. Manche Silhouetten dürfen heute Gliedmaßen von sich strecken und andere gestaffelt hintereinander stehen, als würden sie sich berühren wollen. „Immer zu zweit“. Die schlichte Reihung stereotyper Silhouetten ist der Individuation gewichen.
Buchstaben müssen eindeutig und lesbar sein. Durch Mut und Neugierde aber hat sich das künstlerische Werk von Barbara Klein vom Eindeutigen und streng Konstruierten konsequent zu einem freien und dynamischen Zusammenspiel aus Farben, Formen und Materialien entwickelt. Die sicher gesetzte Linie wird wohl immer dominant bleiben, engt heute aber nicht mehr ein, sondern gibt Eleganz und Struktur. Was für eine schöne „Entwicklung“!
Katja Browarzik